MappaMundi

Aus dem Weltall betrachtet ist der Planet Erde eine blaugrüne Kugel, in einer von hundert Milliarden Galaxien. Vielleicht gibt es in diesen 100 000 000 000 Galaxien, und in jeder fünften davon könnte es einen Planeten ähnlich unserer Erde geben, bewohnbar von Wesen, die uns ähnlich sein könnten. Würden sich diese Lebendigen auf die interstellare Suche nach einem bewohnten, ihrem Heimatplaneten ähnlichen Stern machen, würden sie vielleicht der Erde begegnen. In Bady Mincks’ Film MappaMundi ist der „Blaue Planet“ kein Gegenstand unter anderen, sondern ein Lebewesen. In den 1960er Jahren hat die „Gaia“- Hypothese von Lynn Margulis und James Lovelock formuliert, was für heutige Wissenschaftler selbstverständlich sein könnte. Die Gaia-Hypothese besagt, dass der Planet und seine Biosphäre analog einem Lebewesen betrachtet werden können. Die Biosphäre besteht aus komplexen Interaktionen von Anorganischem und Organischem, woraus ein dynamisches System entsteht, das sich selbst organisiert. Im Anthropozän sind die Menschen – mittlerweile rund 6 Milliarden – zu einem der wichtigsten Faktoren für die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde geworden.

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In Bady Mincks’ MappaMundi können die Astronautinnen, menschenähnliche, vegetabil-technoide Gestalten, mit Hilfe ihrer fortgeschrittenen Technik den Blauen Planeten zum Sprechen bringen. Er berichtet, nach einer langen Zeit geologischer und biologischer Evolution von einer Spezies befallen worden zu sein, die den Planetenkörper zu domestizieren versucht und schließlich mit Artefakten verseucht.

Bady Mincks` extraplanetarisches Forscherinnen-Team verfolgt den langsamen Aufstieg der Spezies Mensch anhand von Landkarten. Die Fähigkeit zur Orientierung besitzen alle Lebewesen, von der anaeroben Archaaen aufwärts auf der Stufe der Lebewesen. Alle müssen sich in ihrer Umwelt verorten, doch nur die Menschen sind in der Lage, abstrakte Vorstellungen von ihrer Welt mithilfe von Zeichen und Sprache zu entwickeln; mit anderen Worten, Karten zu zeichnen. Die frühesten Karten-Artefakte, die vom extraplanetarischen Team im Gedächtnis des Planeten aufgerufen werden können, stammen aus der Ukraine und aus Idaho und werden mit 13 000 bzw. 10 000 Jahren v.u.Z. datiert. Die Steine mit eingeritzten Linien zeigen Landschaften und Wege, das was für Menschen der jüngeren Altsteinzeit lebenswichtig war. Etwa sechstausend Jahre jünger ist eine mit Rötel auf Stein gezeichnete Karte der Siedlung von Çatal Höyük in der Türkei, der ersten großen menschlichen Ansiedlung mit städtischem Charakter. Etwa 10 000 Menschen sollen in Çatal Höyük um 7000 v.u.Z. gelebt haben, und die Rötelzeichnung ist so etwas wie ein Stadtplan.

Ist eine Karte ein Porträt des Planeten? Der belebte Protagonist in MappaMundi ist dagegen, mit Hilfe von Strichen und Linien porträtiert zu werden. Doch die Menschen entwickeln immer mehr Fähigkeiten, ihre internen Repräsentationen von Wegen, von Häusern, wichtigen Landmarken, Bergen und Flüssen in Strichschemata zu übertragen. Karten zeichnen Reisende nicht nur für sich allein, sondern als Mittel der Kommunikation für andere Reisende. Von den bronzezeitlichen Karten, die in Ägypten, Jordanien, Friesland oder Italien gefunden wurden, kann man auf Reisende schließen, die diese Karten benutzt haben. Vielleicht hat ja Abraham, der biblische Urvater aller Reisenden, auch derartige Karten benutzt. Immer neue Karten befördern die interplanetaren Forscherinnen mithilfe ihrer Zeitmaschine auf den Bildschirm. Die Zunahme der Karten entspricht der Zunahme der Reisemöglichkeiten entspricht der Zunahme fester staatlicher Strukturen. Kein Wunder, dass die erste richtige Straßenkarte aus dem Imperium Romanum stammt. Die tabula Peutingeriana zeigt das Straßennetz im spätantiken römischen Reich, das von den Britischen Inseln über den Mittelmeerraum und den Nahen Osten bis nach Indien und Zentralasien reichte mit einem Verweis auf China am Rande der Karte. Die Karten des islamischen und christlichen Mittelalters stimmen überein, da beide das ptolemäische Weltbild teilen. Die Erde steht im Mittelpunkt des Planetensystems und ist eine von den Wassern des Okeanos umgebene Scheibe. Schritt für Schritt tasteten sich die Reisenden und ihre Kartographen vor, auch in China und Korea, und so entstanden immer neue Versionen von Mappae Mundi. Diese Karten waren nicht genordet, wie heutige Karten, sondern nach Osten, in Richtung Sonnenaufgang ausgerichtet. Politische Herrschaftsgebiete werden erst ab dem Spätmittelalter angezeigt, und dann natürlich im sogenannten „Zeitalter der Entdeckungen“. Nun geht es um Einflusssphären, Handelswege, Kartographien der Beherrschung und Unterwerfung, und es werden immer mehr Karten in immer rascherer Folge produziert. Ganz folgerichtig werden am Ende die politischen Weltkarten des CIA gezeigt, gegen die sich der „Blaue Planet“ genauso zur Wehr setzt wie gegen die zunehmende Vermüllung der Biosphäre. In einem rasenden Vorlauf der Zeit verschwindet der Blaue Planet schließlich im Unendlichen der galaktischen Pulsationen.

Man könnte MappaMundi als Menetekel verstehen, liest man doch im Abspann, der Film beruhe auf wahren Begebenheiten. Die ironische Versicherung, dass bei den Dreharbeiten kein Planet zu Schaden gekommen sei, verweist dann doch auf Handlungsspielräume, die die Regisseurin des Films vielleicht ins Kalkül gezogen hat. Wie auch immer, die Crew des Films genauso wie die Zuschauenden gehören jener Gattung an, die den Blauen Planeten wie eine Krankheit befallen hat, aber möglicherweise doch lernfähig ist. Hoffentlich.

Ursula Baatz

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